Jannas Place



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(Eloquenz - Redekunst, Wortgewandtheit)


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Der Eloquentiker

Mit Worten konnte er ziemlich gut umgehen. Der Eloquentiker. Und dafür wurde ihm auch respektvolle Achtung entgegengebracht. Mit seiner Wortgewandtheit, seiner Fähigkeit mit wenigen Worten etwas auf den Punkt zu bringen und gleichzeitig in einem neuen Licht sehen zu lassen, beeindruckte er nicht nur die anderen Menschen, er vermochte so auch geschickt eine Mauer zwischen sich und die anderen zu bringen. Eine Mauer der Worte - dahinter war nur allzu oft das Schweigen.

Nur einer vermochte ihm das Wasser zu reichen. Er nannte ihn respektvoll 'seinen Widersacher'. Wortgefechte zwischen dem Eloquentiker und seinem Widersacher wurden von den anderen genußvoll aufgenommen, als würde ihnen ein Schauspiel der Extraklasse geboten werden. Eines Tages aber kam der Eloquentiker nach Hause, müde kaputt und leer. Fast hätte er ein Schild an seiner Tür angebracht - 'Geschlossen'.

Er ging in sein Wohnzimmer und sah in seinen Garten. Eine merkwürdige Kraft schien ihn nach draußen zu ziehen. Er ging in den Garten und sah auf den kleinen Weg, der hinter seinen Garten entlangführte. Über diesem Weg kam er in ein parkähnliches Wäldchen. Die Ruhe, die dieses Wäldchen ausstrahlte, war wie Balsam auf seiner Seele. Und eine eigentümliche Stille umgab diesen Wald - als würden selbst die Bäume schweigend der Stille lauschen.

So kam er an einen See, wo einzelne Menschen am See entlangliefen oder auf eine der Parkbanken saßen, die um den See herum angeordnet waren. Aber niemand schien sich von einem anderen in seiner Stille gestört zu fühlen.

Der Eloquentiker ging auf eine Bank zu, auf der schon ein Mann saß. Der Mann sah zu ihm auf, wie er sich setzen wollte. Es war sein Widersacher. Der Eloquentiker hielt kurz inne, setzte sich dann aber doch im stillen Einvernehmen auf die Bank dazu.
Lange saßen sie gemeinsam auf der Bank, der Eloquentiker und sein Widersacher, saßen auf der Bank und schwiegen.

"Weißt du,", sagte schließlich sein Widersacher, "daß das hier der See des Schweigens ist?". Der Eloquentiker sah seinen Widersacher skeptisch an. Er überlegte, was er ihm auf diese Frage mit seiner Wortgewandtheit antworten könnte, aber es fiel ihm nichts ein und so antwortete er nur mit einem einfachem "Nein".

"Er dort drüben zum Beispiel,", sagte sein Widersacher und wies dabei mit dem Kopf auf einem Mann, dessen trauriger Blick geradezu in den See des Schweigens zu fließen schien, "er hat jahrelang vielen Frauen erzählt, daß er sie liebe. Aber es war eigentlich keine richtige Liebe. Es war nur ein wohliges Gefühl, daß seine Bedürfnisse befriedigt wurden und das er sich mit diesem Satz erkaufte. Dann aber traf er auf die Frau, die er wirklich liebte und er konnte ihr nicht mehr sagen, daß er sie liebe. Denn diese Worte waren durch ihn schon so abgenutzt, daß sie all ihren Wert verloren hatten."

"Und sie dort drüben?" fragte der Eloquentiker und deutete auf eine junge Frau, die bis zu den Knien in dem See stand und auf einer Staffelei Bilder malte. "Sie, ", sagte sein Widersacher, "ja, sie hat etwas sehr Schlimmes erlebt, das ihr all ihre Worte nahm. Sie ist jeden Tag hier und malt ihre Bilder. Man hat wohl ihre Seele gebrochen." Der Eloquentiker beobachtete die junge Frau. Ihre Bilder hatten eine einzigartige Ausstrahlungskraft. 'Nein', dachte der Eloquentiker, 'ihre Seele kann man nicht gebrochen haben. Ihre Bilder sind geradezu Seelenbilder.'

Weiter abseits saß ein Kind am See und spielte im Sand. Sein Widersacher folgte seinem Blick. "Es weiß zuviel.", sagte sein Widersacher. "Aber es hat niemanden, der ihm zuhört und ihm glaubt.". In sich selbst versunken baute das Kind aus Sand eine kleine Burgfestung, durchzogen von einem Kanalsystem. Nur ein kleiner Damm verhinderte, daß das Wasser das ganze Gebilde flutete. Aber das Wasser des Sees war zu ruhig, um den Damm zu durchbrechen.

Wieder folgte eine lange Zeit des Schweigens.
"Und du? Warum bist du hier?", fragte der Eloquentiker seinen Widersacher. Er sah zu seinem Widersacher rüber und das erste Mal sah er seinem Widersacher wirklich ins Gesicht.
Es war sein eigenes Gesicht ...


Geschrieben unter dem Namen "Sester" (ein männliches Profil auf einer Plattform)